Letzte Worte
von Karl Vitalij Karamasow
23. Juni 2015
"Arbeit ist dreyerley: Lehr, Wehr und mehr arbeit."
(Christoph Lehmann, Politischer Blumen-Garten, 1662)
Ja, möchte denn in diesem unserem Lande, von germanischen Urahnen aus slawischen Sumpfwäldern geschlagen, gegen Römer, Franzosen und Türken (und sonstige Heiden) mit selbstgeschnitzten Schwertern behauptet und erst im vorigen Jahrhundert, nach zwei unglücklich verlaufenen Erweiterungsvorhaben, von Jungkommunisten und Altnazis aus Ruinenfeldern neu und kleidsam zusammengepuzzelt, keiner mehr anständig arbeiten? Nach den faulen Rentnern, Drogensüchtigen, Arbeitslosen und Millionären (von Studenten zu schweigen), deren Berufsbild schon das Nichtstun vorschreibt, nach den Künstlern, Sportlern und Hausfrauen, die höchstens am Vormittag einige Pinselstriche, Kniebeugen oder Fertiggerichte zelebrieren, nun also auch die früher noch Werktätigen: Wir hören erstmal auf mit dieser ganz sinnlosen Plackerei und wären, mit einigen materiellen Verbesserungen, EVENTUELL in naher Zukunft auch bereit, unsere Tätigkeit in gewohnter Qualität wieder aufzunehmen. Apropos: Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass große Teile der jetzt öffentlich und offensiv Faulenzenden (mindestens bei Bahn und Post) bereits vor Jahren heimlich damit begonnen haben? Wo soll das noch hinführen: Bald brechen Notstände aus, die es erforderlich machen, auch noch die letzten Reserven am Arbeitsmarkt zu rekrutieren. Die Kinder kann man in Gefängnissen abgeben, Geldautomaten werden von den dafür entlassenen Kleinkriminellen befüllt und Züge von angelernten Fahrgästen am Laufen gehalten. Drogenhändler regeln den Verkehr, Bankräuber tragen Pakete aus und Rentner mit Schlagstöcken sichern die täglichen Demonstrationen der streikenden Ex-Angestellten gegen Übergriffe wütender Hausfrauen, die es satt haben, S-Bahnen und Ferienflieger zu steuern.
Ein Ende ist zu bedauern: Harry "DenUlysseswürdichinzweiwochen- runterreißen" Rowohlt. Keiner trank so schön wie du, keiner schweifte so meisterlich ab, um nach fünf Stunden unterhaltsamsten Selbstgespräches von der Bühne zu stolpern "Ich geh' jetzt pissen." Danke dafür.
Ein anderes Ende ist lediglich zu vermelden: das Fernsehen, minderbemittelter Bruder der Operette, Weinberg und Müllhalde bewegter Bilder, geboren als flackerndes Testbild 1929, wird absehbar dahinscheiden, nachdem die letzten - im besten Sinne - Alleinunterhalter, Jauch und Raab, in Rente gehen und wohl zwei komplette Senderfamilien mit sich in den Orkus des Schnellvergessenen reißen. Bleibt uns, die letzten Monate zwischen halb- und volldebilem Gebrabbel und den verstörend schönen deutsch-französischen Miniaturen klaglos zu überstehen und den seltsamen Zauberspiegel endgültig schwarz werden zu sehen. Dann dürfen wir wieder das Haus verlassen, Räuber und Gendarm spielen, Springseil springen und mit wehendem Haar barfuß über abgeerntete Stoppelfelder rennen.
Die Kinder können derweil ja ein bisschen im Ulysses lesen.
Klassiker des Tages
"Mein Gehirn / Treibt öfters wundersame Blasen auf."
(Friedrich v. Schiller, Don Carlos, 1787)
|